Kohlsuppe, Kanonenrohre, kalter Krieg

„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen!”
Diese legendäre (Falsch-)Aussage von Walter Ulbricht fiel mir sofort ein, als ich neulich hörte, was NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg von sich gab: „Wir wollen keinen neuen kalten Krieg!”

Ok, nun will ich natürlich nicht einen Verteidiger der freien demokratischen Welt mit dem Führer eines totalitären, unterdrückerischen Regimes in einen Topf werfen. Dabei käme eine wahrlich ungenießbare Brühe heraus. Apropos ungenießbar: Hierzulande hieß schwer Verdaubares 16 Jahre lang Kohlsuppe.

Aber mal ganz im Ernst: Wie kann man eine solche Aussage treffen und gleichzeitig Aufrüstung predigen? Und höhere Rüstungsausgaben von Deutschland fordern? Und – kein Witz – bessere Straßen für NATO-Panzer.

Doch schauen wir mal genauer hin. Dann werden wir merken, dass er eigentlich recht hat, der Herr Stoltenberg: Die NATO will keinen neuen kalten Krieg. Klar, geht ja auch gar nicht. Denn den haben wir doch schon längst wieder, oder nicht? Das gleiche Säbelrasseln wie damals und dazu der Versuch, uns auf das Feindbild Russland (und China) einzuschwören – zu diesem Zweck schießt man aus allen Kanonenrohren, wenn Sie mir dieses militärische Bild gestatten.

Meine Tageszeitung macht auch mit. Gestern wurde in einem Artikel auf der Titelseite die Angst vor Chinas Aufrüstung geschürt. Heute wird die mangelnde Verteidigungsfähigkeit gegenüber Russland thematisiert. Der Putin, das steht da auch, soll unter anderem durch eine zukünftig bessere Ausrüstung der Bundeswehr davon abgehalten werden, in Polen und im Baltikum einzumarschieren. Wahrscheinlich wusste er bisher selbst noch nicht mal, dass er überhaupt darüber nachdenkt.

Fassen wir noch einmal zusammen:
1. Die NATO möchte nach eigener Aussage keinen neuen kalten Krieg.
2. Der kalte Krieg ist allerdings schon in vollem Gange.
3. Die NATO will trotzdem weitere Aufrüstung und schwört das Volk darauf ein.

Dazu fallen mir nur zwei Erklärungen ein:
1. Die Rüstungskonzerne wollen und sollen noch mehr Geld verdienen.
2. Es wird nicht nur ein kalter Krieg angestrebt.

Erklärung Nr. 2 ist übrigens total kompatibel mit Nr. 1. Und passt wunderbar zu den amerikanischen Bestrebungen, in Zukunft jede Menge Mini-Atomwaffen zu produzieren. In den USA glaubt man nämlich allen Ernstes, dass man so etwas regional beschränkt einsetzen kann, ohne damit einen Atomkrieg anzuzetteln. Tja, die verstehen es erwiesenermaßen seit vielen Jahrzehnten meisterhaft, geopolitische und sonstige Folgen bewaffneter Konflikte abzuschätzen. Deutlich erkennbar daran, dass mittlerweile der ganze nahe und mittlere Osten im Chaos versinkt. Doch wie nennt man das heute so schön? Kollateralschäden. Ein vornehm klingender Ausdruck dafür, dass einem das Schicksal anderer Menschen, manchmal sogar ganzer Völker, völlig egal ist, solange man selbst nur Gewinn macht.

Im übrigen ist Stoltenberg Mitglied der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Norwegens. Das passt dann ja wieder. Schließlich hat die SPD einen Koalitionsvertrag unterschrieben, in dem das Ziel verankert ist, den Wehretat auf die von der NATO geforderten 2% des BIP zu steigern. Vorsichtshalber steht dort allerdings nur etwas von der „Orientierung am NATO-Zielkorridor”. Damit es nicht gleich so auffällt, wahrscheinlich. Klappt ja auch perfekt. Oder wie oft haben Sie darüber schon etwas in den Medien gehört und gelesen?

Kein Wunder jedenfalls, dass für das wirklich Wichtige, die Bürger des Landes nämlich, nicht genügend Geld da ist. So sehr uns auch alle Beteiligten den Koalitionsvertrag als total „sozialdemokratisch geprägt” verkaufen wollen: Willy Brandt würde sich im Grabe umdrehen. Denn wer, wenn nicht er, steht für die Kerninhalte der SPD? Und dazu zählt nun mal auch die Entspannungs- und Abrüstungspolitik.

Das ist unserer Amazone Uschi von der Leyen natürlich so was von egal. Die schönste Verteidigungsministerin – oder was man heutzutage so nennt – seit Gerhard Stoltenberg (ja, wir hatten auch mal so einen, der war aber kein Sozialdemokrat), giert förmlich danach, noch mehr ins Rampenlicht zu rücken. National und international. Natürlich alles nur, damit Deutschland seiner immensen Verantwortung für die Rettung der Welt gerecht werden kann. Wie sie neulich frohlockte, dass eine der beiden neuen NATO-Kommandozentralen in Deutschland stehen wird! Apropos stehen: Das tun deutsche Soldaten manchmal auch, und zwar im Baltikum, im Zweifel nur 150km von St. Petersburg entfernt. Sie wissen schon, den Putin abschrecken. Und unsere Demokratie verteidigen.

Da frage ich mich: Was machen jetzt eigentlich die deutschen Soldaten in Afghanistan? Wenn die Demokratie doch inzwischen nicht mehr am Hindukusch weilt, sondern im Baltikum.

Ahnen Sie, woran ich schon wieder denken muss?
Genau: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen!”
Und da sagt man immer, die Zeiten ändern sich …

 

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