Im Land des Lächelns

Was war das gestern für ein Bild des Jammers (oder für die Götter, je nach Standpunkt), als der selbst ernannte „Kanzlerkandidat” der SPD nach der Wahl vor die Kameras trat. Während sich Martin Schulz mehr schlecht als recht abmühte, irgendetwas Positives von sich zu geben und seinen Anhängern die neue Oppositionsrolle schmackhaft zu machen, hatte sich um ihn herum das personifizierte Elend versammelt. Ok, der Schäfer-Gümbel guckt immer so. Aber Malu Dreyer, Barbara Hendricks, Katarina Barley – selbst der Begriff Trauermiene greift da noch zu kurz. Manuela Schwesig schaute nicht ganz so bedröppelt drein, aber die muss schließlich als Ministerpräsidentin von Meck-Pomm auch nicht in die Opposition.

Doch es war nicht nur ein Bild des Jammers. Es war vor allem ein Sinnbild. Denn unter all den SPD-Oberen fand sich eine Person, die mit verklärtem Blick versonnen in die Ferne blickte und beglückt vor sich hin lächelte: Andrea Nahles.

Zuerst dachte ich: Mädchen, bist Du auf Drogen, oder was? Deine „Volkspartei” wurde soeben größenmäßig auf Hobbit-Niveau geschrumpft. Nur noch etwa 15% der Wähler (unter Einberechnung der Wahlbeteiligung) können und wollen mit der SPD etwas anfangen. Dein Chef verkündet gerade, dass Ihr in die Opposition gehen werdet. Und Du grinst dümmlich vor Dich hin?

Doch dann dämmerte es mir: Klar, sie kriegt jetzt den Posten der Fraktionsvorsitzenden! Das und das Lächeln der Andrea Nahles sagen doch alles, oder? Über sie selbst. Und über einen der Gründe für die Klatsche der SPD (und der CDU/CSU) bei dieser Bundestagswahl. Posten sind eben wichtiger als Inhalte. Und die eigene Macht wichtiger als die Bedürfnisse des Volkes. Nahles? Da ist es ja fast schon schade, dass der Oppermann den Posten nicht mehr will (oder darf). Dabei war das eigentlich eine richtig gute Nachricht. Bis rauskam, wer den Job in Zukunft machen soll.

Kein Wunder, dass die Andrea verträumt vor sich hin lächelte. Wahrscheinlich stellte sie sich schon vor ihrem geistigen Auge vor, wie sie mit ihrem Kollegen Volker Kauder in der Bundestagskantine händchenhaltend … nee, ich glaube, jetzt geht die Fantasie mit mir durch. Dann wohl doch eher mit Christian Lindner – in ihrem Traum jedenfalls. Der Lindner wird ja den Fraktionsvorsitz der FDP übernehmen, hört man. Doch er träumt bestimmt von anderen Dingen als Andrea Nahles …

Aber jetzt mal Butter bei die Fische: Wie, liebe SPD, soll denn das gehen? Opposition mit klarer Kante machen, die Partei wieder auf Kurs bringen. Mit demselben Personal, das Euch die größte Pleite aller Zeiten beschert hat. Vorneweg Martin Schulz. Der Mann, dem 100% der Parteitagsdelegierten ihr Vertrauen ausgesprochen haben, als es um ein gutes Abschneiden bei der Wahl ging. Der mit diesem Vertrauen so verantwortungsvoll umgegangen ist, dass am Ende ein offizielles Wahlergebnis von 20,5% dabei herauskam. Also quasi der 100-6-20-Mann: Von 100% in 6 Monaten auf 20%. Der Mann, der nicht versteht, dass eine Abgrenzung zu den konservativen Kräften und eine klare Absage an das neoliberale Gedankengut das A und O sind, wenn die SPD noch eine Daseinsberechtigung haben will. Der soll bzw. will also jetzt die Opposition anführen. Gute Nacht SPD, gute Nacht Deutschland!

Mal sehen, ob und wie lange die Partei das mitmacht. Der Schulz ist schließlich nicht Angela Merkel. Ihm fehlt einfach die Superbeschichtung aus Teflon (obwohl die bei Angie in dieser Wahl auch mal einen Kratzer bekommen hat). Das heißt, es kann sehr wohl sein, dass bei der SPD – im Gegensatz zur CDU – der Trainer ausgetauscht wird, wenn das Ergebnis nicht stimmt. Darauf wetten würde ich aber dann doch nicht. Als ehemaliger Fußballer mit Profiambitionen ist der Schulz bestimmt auch auf so was vorbereitet.

Vielleicht muss sie ja auch gar nicht in die Opposition, die SPD. Wenn sich die Jamaikaner, also CDU/CSU, FDP und Grüne, nämlich nicht einigen können, wird sich die SPD sicherlich nicht lange bitten lassen. Dann wird man sich ehrfürchtig „dem Druck der Verantwortung für Deutschland” beugen und wieder in die große Koalition einsteigen, wetten? Na ja, was man heutzutage halt „groß” nennt.

Und mal ehrlich: So eine Jamaika-Koalition, die kann ich mir gar nicht so recht vorstellen. Bei Jamaika denkt man schließlich immer gleich an Sommer, Sonne, Reggae, Gras rauchen … und an nach unseren Standards eher ärmliche Lebensverhältnisse. Und nichts davon passt zu den drei Parteien, finden Sie nicht auch?

Doch wahrscheinlich sind die Vorbehalte der FDP und Grünen, die gestern der jeweils anderen Partei gegenüber geäußert wurden, einfach nur das Vorgeplänkel zu den Koalitionsverhandlungen. Schon mal klare Kante zeigen eben. Und nebenbei ein bisschen den Schulz ärgern, indem man ihm vorhält, dass er sich aus jener oben genannten Verantwortung stiehlt. Was ja auch gut klappt, wie man an seinem gereizten Auftritt bei der gestrigen TV-Runde deutlich erkennen konnte. Tja, schon wieder ein taktischer Fehler: Wie kann man dünnhäutig zu einer Elefantenrunde erscheinen? Wenn der aber mit so etwas schon nicht gut umgehen kann, wie soll er dann vier Jahre lang eine harte Oppositionspolitik gestalten?

Und jetzt also noch der Fraktionsvorsitz für Andrea Nahles. Die hat sich als Arbeitsministerin natürlich durchaus verdient gemacht … allerdings um den Ausverkauf sozialdemokratischer Ideen und Grundsätze. Um das zu erkennen, muss man gar nicht groß ins Detail gehen. Denn wie sagte schon Lenin: Sage mir, wer Dich lobt, und ich sage Dir, welche Fehler Du begangen hast. Auch wenn Sie politisch mit Lenin nichts am Hut haben sollten, müssen Sie zugeben: Da ist was dran.
Und Lob für Nahles, das kam ganz oft von der bürgerlichen neoliberal-alternativlosen Presse. Und wofür? Nun, bestimmt nicht für ihren bedingungslosen Einsatz für sozialdemokratisch geprägte Politik. Dann schon eher für das tolle Arbeitnehmerüberlassungsgesetz vom Herbst 2016, um nur ein Beispiel zu nennen. Das angeblich die Rechte der Leiharbeiter stärkt. Das steht so auch auf der Website der Bundesregierung. Stimmt aber leider nicht. Sehr schön zu sehen in der Mai-Ausgabe der ZDF-„Anstalt”.

Aber das stört die Andrea alles nicht. Sie war gestern trotzdem im Land des Lächelns.
Das ist allerdings schon besetzt. Denn dort war ja bei der Wahl die AfD einmarschiert. Wobei ich das Lächeln dieser Leute meist eher als fiese Fratze empfinde. Geht Ihnen das auch so? Das mag vielleicht daran liegen, dass man von denen eben häufig fiese, menschenverachtende Äußerungen hört. Trotzdem wurden sie von 12,6% der Wahlberechtigten gewählt. Angeblich mehrheitlich aus Protest. Hoffentlich. Vielleicht hätte ich Mutti in meinem Artikel „Angie bei mir zu Haus” doch nicht ganz so schlecht machen sollen. Wer ahnt denn, dass daraufhin alle gleich zur AfD rennen?

Und was gedenken die „demokratischen” Parteien zu tun, um das zu ändern? Sie wollen die AfD-Wähler zurückgewinnen. O-Ton Merkel. Sie sagt also nicht: Wir wollen eine Politik machen, die allen Menschen in diesem Land zugute kommt und den Bürgern somit eine vernünftige Alternative zur AfD anbieten. Sondern sie schielt reflexartig auf Wählerstimmen. Der Machterhalt ist also am wichtigsten. Mit was für einer Politik sie die Wähler zurückgewinnen will, lässt sich angesichts der neuen Sitzverteilung im Bundestag leicht erahnen. Und der Wankel-Horst Seehofer hat ja auch schon angekündigt, die Reihen am rechten Rand schließen zu wollen.

Willkommen im Land des Lächelns.

 

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