Angie bei mir zu Haus

Da flatterte mir doch gestern höchst wichtige Post ins Haus. Wahlwerbung von der CDU. Ein Brief, sogar von Angela Merkel persönlich. Ist doch nett, oder? Sogar mit ihrem Konterfei drauf. Obwohl … das wäre nun wirklich nicht nötig gewesen. Zumal der Text allein schon genügt, um mich zu fragen: Will die mich jetzt verkaspern?

Ich meine, ok, das macht die schon seit 12 Jahren. Und man hat sich irgendwie daran gewöhnt. Aber in solch geballter Form, sozusagen hyperkomprimiert diesen ganzen Verbalnihilismus präsentiert zu bekommen, ist schon schwer verdaulich.

Eigentlich könnte man jeden einzelnen Satz aus Angies Brief genüsslich sezieren. Doch ich will Sie nicht langweilen. Und außerdem reicht der Platz dafür hier nicht aus.

Aber alles kann ich Ihnen nun doch nicht ersparen.
Zum Beispiel so was:
„Gerechtigkeit kann nur gelingen, wenn wir uns die Voraussetzungen dafür erwirtschaften.”
Diese Präzision! Einfach stark. So kennen wir unsere Kanzlerin.
Denn, was heißt denn das? Strengt Euch alle noch ein bisschen mehr an, dann können wir irgendwann mal mit der Gerechtigkeit anfangen? Und was genau meint sie mit Gerechtigkeit?
Außerdem: „Deutschland geht es gut”. Das sagt Frau Merkel jedenfalls immer. Wenn das so ist, können wir uns doch auch jetzt schon Gerechtigkeit leisten. Ein bisschen wenigstens.

Oder das:
„Unsere Kinder sollen die beste Bildung haben.”
Äh …
In zerbröselnden Schulen?
Mit hinterwäldlerischer technischer Ausstattung?
Mit jeder Menge Fehlstunden wegen Lehrermangels?
Nach 12 Jahren Merkel wohlgemerkt.

Ich schätze, man muss die Phrase „unsere Kinder” wörtlich nehmen. Frau Merkel meint wohl den Nachwuchs ihresgleichen, also der oberen Zehntausend, der auf teure Privatschulen und -Unis gehen kann.

Einer geht noch, dann sind Sie erlöst:
„Wir setzen auf einen starken Zusammenhalt, der ganz besonders in den Familien spürbar ist.”
Genau. Und um einen starken Zusammenhalt zu erreichen, wurde in den letzten 12 Jahren hemmungslos dem neoliberalen Gedankengut gefrönt und auf diesem Wege eine kalte Ellenbogengesellschaft geformt. Ganz schön dreist also, diese Aussage, Frau Merkel.
Und den zweiten Teil des Satzes kann man nicht mal als Aussage bezeichnen. Denn was zum Henker hat die Politik damit zu tun, ob man in einer Familie zusammenhält oder nicht?
Obwohl, wenn ich es mir recht überlege, hat die Angela doch irgendwie recht: Da der gesellschaftliche Zusammenhalt im Zuge des fortschreitenden Neoliberalismus bröckelt, muss man in der Familie wieder näher zusammenrücken. Nach dem Motto: Wenn uns der Sozialstaat schon nicht hilft, tun wir es wenigstens untereinander. Ob sie das wohl meint? Ich glaube eher nicht. Aber Merkel und klare Meinung, das beißt sich ja ohnehin irgendwie.

Zum Schluss schreibt Frau Merkel dann noch:
„Ich bitte Sie: Geben Sie am Sonntag beide Stimmen der CDU.”

Sorry, Angie, aber da hättest Du Dich ein bisschen mehr anstrengen müssen. Beim Schreiben. Und vor allem beim Regieren. So anspruchslos bin ich dann doch nicht.

Und wie sieht es mit Ihnen aus?

 

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