Raute statt Traute

Stellen Sie sich vor, ein norwegischer Elch will mit einem deutschen Wildschwein telefonieren. Jetzt denken Sie bestimmt: So ein Quatsch, das geht doch gar nicht! Sie haben recht. Natürlich geht das nicht. Und warum? Ganz einfach: Das Wildschwein hat kein Netz.

Ist ja auch kein Wunder: Deutschland kommt nur auf 65,67% Netzabdeckung in 4G-Qualität. Norwegen bringt es dagegen auf 92,16%. Elch schlägt Wildschwein. Oder: Norwegische Tundra schlägt teutonischen Eichenwald. Ganz wie Sie wollen. In jedem Fall aber eindeutig. Denn Norwegen liegt europaweit auf Platz 1, Deutschland nur auf 32. Weit abgeschlagen also, sogar hinter Albanien. Das kommt immerhin auf 67,97%. Und damit auf Rang 31. Selbst die volkswirtschaftlichen Sorgenkinder Griechenland und Portugal sind besser als wir.

Ist das nicht peinlich? Sie brauchen nicht zu antworten, das war eine rein rhetorische Frage. Und Spanien zählt sogar zur Spitzengruppe. Von den weiteren skandinavischen Ländern ganz zu schweigen. Und dann sind da noch die Niederlande. 89,64% = Platz 2. Dafür waren wir allerdings bei der Fußball-WM dabei. Wenn auch nicht sehr lange.

Aber da fragt man sich doch unwillkürlich: Griechenland, Portugal, Spanien? Sind das nicht die Länder, denen WIR schon seit Jahren erzählen, wie es geht? Was sie zu tun haben. Dass DIE sich gefälligst ein Beispiel an UNS nehmen sollen. Nach dem Motto: Am deutschen Wesen sollt ihr genesen!

Tjä … Pustekuchen. Hier erkennt man wunderbar einen der Gründe, weshalb es in Deutschland so aussieht wie es aussieht. Es wird alles getan zum Wohle – nein, nicht der Bürger, sondern der Großkonzerne. Und nicht nur in der Telekommunikationsbranche. Beispiele gefällig? Autoindustrie: siehe Dieselgate. Rüstungsindustrie: siehe steigenden Wehretat. Was übrigens neuerdings von unseren Eliten verharmlosend als Ausrüstung der Bundeswehr tituliert wird. Ehrlicher wäre natürlich der Begriff Aufrüstung. Aber das klingt wohl zu martialisch. Und zu … nun ja … ehrlich.

Und was hat dieses Verhätscheln der Konzerne zur Folge? Deutschland einig Entwicklungsland. In puncto Telekommunikation jedenfalls. Und auch bei öffentlichen Gebäuden und Straßen sind wir eindeutig schon auf dem besten Weg dorthin. Was meinen Sie wohl, warum? Na, damit Konzerne und Beraterfirmen dann im Rahmen von ÖPPs absahnen können, ohne große Risiken tragen zu müssen. Zum Beispiel.

Doch woran liegt es nun, dass es in anderen Ländern so viel besser aussieht mit dem LTE (= anderer Name für 4G)? Ich sage nur: National Roaming. Das erlaubt es dem Mobilfunkkunden, über den nächsten Funkmasten zu telefonieren oder zu surfen. Selbst wenn dieser nicht seinem Mobilfunkanbieter gehört. Das Telekommunikationsunternehmen, das den Mast betreibt, rechnet später die Nutzung mit dem Anbieter des Fremdnutzers ab. Also so, wie es auf europäischer Ebene schon lange geschieht, nur eben im Inland. Deshalb „National” Roaming.

Das Dumme ist nur: Was andernorts gang und gäbe ist, findet in Deutschland nicht statt. Die Politiker trauen sich offenbar nicht, die Mobilfunkanbieter darauf zu verpflichten. Vielleicht wollen sie auch einfach nicht regulierend in ihre heilige Marktwirtschaft eingreifen. Denn wir wissen ja inzwischen alle: Der Markt wird’s schon richten, er bringt immer das optimale Ergebnis. Wie auf dem Wohnungsmarkt. Schlechtes Beispiel, meinen Sie? Gerade da funktioniert der Markt eben nicht? Doch, doch: Der Markt bringt immer das optimale Ergebnis – fragt sich nur, für wen. Also wirklich, wo bleibt denn Ihr Zynismus?

Die Telekommunikationsfirmen wollen natürlich alle ihre eigenen Masten aufstellen. Und begründen das mit scheinheiligen Argumenten. O-Ton Telekom-Chef Höttges: „Ein National Roaming würde dazu führen, dass deutlich weniger investiert würde in Deutschland.”
???

Also erstens: Es wird ja offenbar schon jetzt zu wenig investiert, wenn ich mir die Netzabdeckung so ansehe. Also kann die Sorge um zu wenig Investitionstätigkeit kein Grund sein, das National Roaming abzulehnen. Oder will die Telekom dann Masten abbauen?
Zweitens: Seit wann macht sich ein Konzernlenker Gedanken über das Wohl des Landes statt über die Dividende der (Groß-)Aktionäre – und sein Millionengehalt natürlich. Da lachen ja die Hühner!
Und drittens: Worin liegt der volkswirtschaftliche Sinn von Investitionen in einen neuen Funkmast, wenn ein anderer das betreffende Gebiet bereits abdeckt? Es kommt schließlich auch niemand auf die Idee, neben eine bestehende Bahnlinie noch eine zweite oder gar dritte zu legen.

Aber was rege ich mich schon wieder auf. Was erwarte ich denn in einem Land, das seit über 12 Jahren statt regiert nur verwaltet wird. Raute statt Traute sozusagen. Also, fahren auf Sicht ist sicherlich ein probates Mittel – bei Nebel. Nur, die aktuellen Entwicklungen – demographisch, sozial, technisch – sind bereits seit langem vorhersehbar. Also nix mit Nebel. Und dann helfen auch keine Nebelscheinwerfer.

Aber die braucht der Elch in Norwegen ohnehin nicht. Der hat ja ein gutes Netz. Bestimmt telefoniert er in diesem Augenblick gerade mit einem finnischen Rentier. Oder mit einem ungarischen Biber. Ungarn liegt nämlich bei der Netzabdeckung gleich hinter Holland.

Armes deutsches Wildschwein!

 

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